Hans-Ullrich Kuhn

HOINZI

Der IKS

KOMPANIECHEFS

Während meiner Bundes-wehrzeit hatte ich einen ganz tollen Kompanie-Chef, wie es sich für einen Kompanie-Chef gehört, ein Hauptmann. Der schickte mich einmal am Tag Zigaretten holen (die guten, Roth-Händle ohne Filter, in einschlägigen Kreisen auch bekannt als „Lungentorpedos“ oder „Roter Tod“) und saß ansonsten in seinem Kabuff, raucht, trank mehr oder weniger regelmäßig (alle ein bis zwei Stunden) ein Glas Cognac und sah ansonsten zu, dass er den Tag möglichst stressfrei herumbekam. Unser Spieß war praktisch der echte Kompanie-Chef, ich war praktisch der Spieß und alle waren zufrieden. 

Nun blieb es aber leider auch an höherer Stelle nicht verborgen, dass unser Hauptmann ein Ass war. Also wurde er eines schönen Tages zum Major befördert. Und damit war sein Dienstrang zu hoch, um eine Kompanie zu führen und folglich wurde er versetzt und wiederum folglich bekamen wir einen neuen Kompanie-Chef. Und dieser neue Kompanie-Chef war, menschlich gesehen, das letzte Arschloch. Hauptmann und Einzelkämpfer, eine toxische Mischung.

Dieser Hauptmann meinte also, dass die Rekruten in unserer Kompanie (wir waren ja Ausbildungkompanie) nicht schlecht ausgebildet wurden, dass da ober noch jede Menge Luft nach oben sei. Ok, damit konnten wir alle leben, das mussten ja „nur“ die Rekruten ausbaden.

Zusätzlich, und da schlugen die Granaten schon näher ein, war der Hauptmann der Meinung, dass das Stammpersonal sich einen faulen Lenz machen würden; und das wollte er umgehend ändern. Das begann damit, dass er für das Stammpersonal regelmäßig, einmal pro Woche, Formalausbildung ansetzte. Formalausbildung! Für das Stammpersonal! Welch eine Schmach. Damit aber noch nicht genug. Damit der reguläre Tagesbetrieb, der um 7.00 Uhr mit dem Heraustreten der Rekruten begann, nicht leiden musste, wurde die Formalausbildung davor angesetzt, nämlich um 6.00 Uhr. Um 6.00 Uhr war bei uns Rekrutenwecken! Das Stammpersonal schlief normalerweise (mindestens) bis 6.30 Uhr! Eine weitere Demütigung. 

Nun, der Formalausbildung konnte ich noch recht elegant entkommen. Ich war im Geschäftszimmer nämlich für die Versetzungsgesuche der Rekruten zuständig. Die Bearbeitung eines solchen Gesuchs dauerte immer zwischen 30 und 60 Minuten. So begann ich, mir die Rekruten immer an den Formal-ausbildungstagen ins Geschäftszimmer zu bestellen. Und zwar immer schon um 6.00 Uhr. Dafür stand ich extra schon um 5.00 Uhr auf. Lieber weniger Schlaf als Formalausbildung. Und nicht nur, dass ich damit der Formalausbildung entkam, ich sammelte auch noch Punkte beim Hauptmann, denn ich begründetet diese Arbeitsweise damit, dass ich die Rekrutenbefragung extra so früh durchführe, damit der Rekrut zum normalen Dienstbeginn fertig ist und dadurch keine kostbare Ausbildungszeit verpassen würde.

Ok, das hatte ich also im Griff. Aber dann erwischte es mich doch noch; und zwar gleich zweimal und auch gleich richtig. Der Chef setzte nämlich eine 36-Stunden-Übung für das Stammpersonal an! Eine weitere Schmach. 36-Stunden-Übungen wurden bei uns normalerweise zum Ende eines Ausbildungsquartals für die Rekruten angesetzt. Da konnten sie dann zeigen, was sie gelernt hatten. Diese Übungen liefen so ab, dass normalerweise mitten in der Nacht (gerne zwischen 2 und 3 Uhr) Alarm gegeben wird. Dann muss Gefechtsbereitschaft hergestellt werden und anschließend ging es auf LKW und ab, in´s Gelände. Und zwar für, wie der Name ja schon sagt, für 36 Stunden.

Und jetzt also für´s Stammpersonal. Nicht zu fassen. Ich erhielt dann im Gelände zusammen mit mehreren Kameraden die ehrenvolle Aufgabe, den Kompaniegefechtsstand, der mitten im Wald in einer kleinen Senke lag, zu sichern. Dazu kletterte ich auf eine Anhöhe und legte mich auf den Bauch, Gewehr im Anschlag, den unten gelegenen Kompaniegefechtsstand fest im Blick. Nach vier Stunden würde ich abgelöst werden. Nun wäre das vielleicht noch ganz lustig gewesen, wenn wir eine schöne Sommerzeit gehabt hätten. Dann hätte ich das unter „befohlene Campen“ verbucht. Aber nein, es war Winter, der Schnee lag 40 cm hoch, wir hatten minus 15° und: es war 2.00 Uhr nachts. Das vergess ich dem Typen nie!

Das zweite Mal, wo ich ihm nicht entkommen konnte, war ein 20 Kilometermarsch mit 15 kg persönlichem Gepäck. Und das war dann zu der Jahreszeit, für die ich mir die 36-Stunden-Übung gewünscht hatte. Nämlich im Juli, wolkenloser Himmel, schwüle 35° im Schatten. Perfekt. Wir waren in 4-er-Gruppen eingeteilt und jede Gruppe musste noch zusätzlich zu dem persönlichen Gepäck ein 30 kg schweres Maschinengewehr mitschleppen, das wurde immer abwechselnd von zwei Soldaten gleichzeitig getragen. Und natürlich hatten wir das volle Programm. Fliegerangriff von links, volle Deckung, Fliegerangriff von rechts, volle Deckung. Feind voraus, robben Sie durch die Wiese in den 200 m entfernten Wald und suchen Sie dort Deckung, lassen Sie wohl den Kopf unten usw. usw. Und alles natürlich in schwerer Kampfausrüstung mit dem 15 kg-Rucksack auf dem Rücken und dem 30 kg-Maschinengewehr im Schlepptau. Kurz und krumm: wir waren, als der Marsch zu Ende ging, fix und fertig und wollten nur noch auf den LKW und in die Kaserne gefahren werden, damit wir auf´s Bett fallen konnten. Endlich, nur noch ein Kilometer, nur noch da um die Ecke, dann sind es noch 800 Meter, ein Klacks. Und dann haben wir´s geschafft. Wir bogen erwartungsfroh um die Ecke und freuten uns auf den Anblick des LKW, der dort auf uns warten würde. Und als wir um die Ecke kamen, sahen wir, dass alles richtig war: es waren tatsächlich nur noch 800 Meter und am Ende der Strecke wartete tatsächlich der LKW auf uns. Aber: bis zum Ende der Strecke ging es absolut steil, steil, steil, steil bergauf. Dieser Stinkstiefel hat uns nochmal so richtig reingelegt (wobei ich sagen muss, hinterher war ich ihm dankbar für diese Lektion, denn sie zeigte mir, dass ich meine Grenzen noch lange nicht erreicht habe, wenn ich denke, ich habe meine Grenzen erreicht. Eine absolut wertvolle Erfahrung für unsere anspruchsvollen Höhentrekkings, insbesondere in Höhen über 5.000 Meter).

Aber er wusste einfach nicht, wann es genug ist. Jeder andere Chef hätte es nach diesen Strapazen gut sein lassen. Nicht so unser geliebter Hauptmann. Nach der Rückkehr in die Kompanie befahl er nicht „Freizeit“ sondern: „Waffen- und Gerätereinigung, vier Stunden“. Ohne Worte.

Wenigstens eine kleine Rache aber konnte ich nehmen. Wie heißt es doch so schön in „Kill Bill“ als Reminiszenz an „Der Pate“: Rache muss kalt genossen werden. Bei mir wurde sie eher lauwarm genossen, denn das war die Reis-Temperatur: es stand mal wieder eine 36-Stunden-Übung für die Rekruten an und mir stand der Sinn danach, mit rauszugehen, denn das Wetter war schön und ich wollte auch mal wieder für länger an die frische Luft. Also bat ich den Spieß, diesmal jemand anderen im Geschäftszimmer zu lassen und mich als Ordonanz für die Offiziere einzuteilen. Auf dem Feld kam es dann, wie ich es mir erwartet habe: Der Kompanie-Chef sammelte die EPA der Offiziere ein (EPA = Einmannpackung, das ist die Verpflegung für einen Soldaten und einen Tag, der Inhalt ist so zubereitet und verpackt, dass er jahrzehntelang nicht ungenießbar wird. Klingt natürlich schon nach brrr und ja, Dreisterneküche ist es nicht, aber nach stundenlangem Robben im Feld und wenn außer EPA nichts greifbar ist, scheckt das Zeugs nicht mal so schlecht und, soviel ist sicher, um den Hunger zu bekämpfen, reicht´s allemal aus) und übergab sie mir mit der Anweisung, daraus ein leckeres Abendessen zu machen. Sie würden jetzt die „Gefechte“ beobachten gehen und wollten bei der Rückkehr essen. Na ja, EPA und „lecker“ in einem Satz…

Ok, kaum waren die Offiziere weg, riss ich die EPA auf, holte Käse, Fleisch, Wurst und Honig raus und ließ es mir munden. Wobei, eine Portion Fleisch heb ich mal sicherheitshalber für das Abendessen auf, denn wenn da so garkein Fleisch drin ist, wird vielleicht sogar ein Offizier misstrauisch. Also, schau´n wir mal, was für das Abendessen der Offiziere noch an Resten da ist. Der Rest bestand traditionell aus Reis, Soße und Trockenkeksen. Na, ist doch prima! Also gab es abends aus fünf EPA zusammengerührten lecker lauwarmen Reis mit Soße und Trockenkeksen, schön verfeinert mit der einen aufgehobenen Dose Fleisch und garniert mit meiner Bemerkung, dass die EPA auch nicht mehr das sind, was sie mal waren (wobei ich nicht ausschließen möchte, dass die Offiziere sich bereits vorher in einem Landgasthof die Mägen vollgeschlagen haben). Aber die Geste zählt und so hatte ich wenigstens eine Mini-Rache für die Demütigungen meines Hauptmanns (die anderen Offiziere hatten mir zwar nichts getan aber, wie heißt es so schön: mitgegangen, mitgefangen. Jedenfalls hielt sich mein Mitleid in Grenzen.

KOMPANIECHEFS

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