Hans-Ullrich Kuhn
Casablanca liegt in Tansania (1991)
Die Besteigung des Kilimanjaro (Kibo) von Tansania aus haben wir erfolgreich hinter uns gebracht, nun steht der Rückflug an. Wir haben uns mit dem Taxi von Moshi, wo wir nur wenige Gehminuten entfernt vom Machame Gate unsere Unterkunft hatten, zum International Kilimanjaro Airport (zwischen Moshi und Arusha) fahren lassen. Da noch Zeit bis zum Abflug ist, hängen wir in der Bar ab.
Zu der Zeit, als wir in Tansania waren, herrscht dort Devisenbewirtschaftung. Das hieß, bei der Einreise durften zwar Devisen unbegrenzt eingeführt werden, sie mussten aber deklariert werden. (Wir hatten 1.000,00 Dollar cash dabei, denn damals galt in Tansania, und vor allem um den Kibo rum: „Nur Bares ist Wahres.“) Der Bestand wird bei der Einreise in ein Formular eingetragen. Dieses wird dann mit einer Unzahl von Stempeln versehen und in den Reisepass eingeheftet, bei der Ausreise muss es wieder vorgelegt werden. In unserem Fall wurde das Formular in meinen Reisepass eingeheftet, Ute bekamein Null-Formular, ihr Reisepass blieb also „sauber“. Eine Tatsache, die bei der Ausreise eine nicht unwesentliche Rolle spielen würde.
Während des Aufenthaltes hieß es dann, fleißig Quittungen und Kassenzettel sammeln, denn bei der Ausreise musste wiederum der dann noch vorhandene Devisenbestand vorgezählt und die Differenz zwischen Anfangsbestand und Endbestand durch die Vorlage entsprechender Quittungen nachgewiesen werden. Wir - also genauer gesagt, ich, (siehe oben) hatten noch 900,00 Dollar übrig (es ist relativ schwierig, auf 4.700 m Höhe Geld in größeren Mengen auszugeben), für die 100 verausgabten Dollar hatten wir die Quittungen einstecken.
Die Zeit bis zum Abflug rückt näher. Aber da der Flughafen sehr übersichtlich ist, können wir unsere Maschine auf der Rollbahn sehen (und auch mühelos identifizieren, denn es ist an diesem Tag das einzige Flugzeug weit und breit). Es steht da, die Rolltreppe ist auch schon drangefahren, aber es steigt noch niemand ein, also, kein Thema, einer geht noch, an der Bar ist´s halt doch am gemütlichsten. Wir haben ja nur noch ein paar Meter durch die Pass- und Zollkontrolle (Sicherheitskontrolle war damals noch weitgehend ein Fremdwort), dahinter ist der Wartebereich und dann sind´s nur 100 m zu Fuß bis zum Flugzeug. Wie gesagt, sehr übersichtlich das Ganze. Zwischen Zollkontrolle und Wartebereich ist ein blickdichter Vorhang angebracht.
Dann kommt Bewegung in die bereits abgefertigte Passagiertruppe, wovon sich die ersten auf den Weg zum Flugzeug machen. Ok, also, auf geht´s. Ute läuft vor mir. Zuerst Passkontrolle, geht ruck zuck, kein Thema. Dann Zoll. Ute wird kurz gemustert, ihr Devisennachweiszettel wird gecheckt, Null Dollar bei der Einreise, also auch Null Dollar bei der Ausreise, bitte weitergehen. Ute verschwindet hinter dem blickdichten Vorhang. Jetzt bin ich an der Reihe (und zwar offensichtlich als letzter Passagier, hinter mir steht jedenfalls niemand mehr). Devisen: Es müssen noch 900 Dollar da sein. Yep, die 18 50-Dollar-Scheine, die ich in der Hand halte, habe ich natürlich bereits im Vorfeld dreimal durchgezählt, wozu bin ich schließlich Buchhalter? Nun zähle ich sie dem jungen Officer vor: 50 – 100 – 150 -……. 900. Beifall heischend schaue ich ihn an und warte auf sein: „Ok, go on.“ Aber er schaut mich an:„ Nein, das sind nur 850 Dollar.” Ich, lässig (da ich ja weiß, dass es 900 Dollar sind): „ Nein, nein, das sind 900 Dollar. Look: 50 – 100 – 150 … 900!” No, that´s wrong!“ Ist der denn zu blöd, bis 900 zu zählen??
Heute weiß ich natürlich, dass der Officer ein kleines „Trinkgeld“ erwartet hat, aber damals war ich noch davon überzeugt, dass alle Menschen auf der Welt grundsätzlich gut und ehrlich sind. Langsam werde ich nervös. Wie ich durch das Fenster sehen kann, schreitet das Boarding munter voran. Wo ist eigentlich Ute? Ich rufe laut „Ute?“. Keine Antwort. Plötzlich sehe ich sie auf dem Rollfeld Richtung Flugzeug laufen. Das kann ja wohl nicht wahr sein! Will sie mich hier zurücklassen? Merkt sie gar nicht, dass ich nicht da bin? Oder, noch schlimmer, ist es ihr egal? Immer nervöser werdend, konzentriere ich mich wieder auf den Officer. Ich zähle ihm die Dollar nochmals vor. “No, that´s wrong“, lautet seine lapidare Antwort. Im Kopf gehe ich schon die Möglichkeiten durch, die ich habe, wenn ich den Flieger verpasse. Zahlreich sind sie nicht gerade.
Ich fange mit dem Officer eine längere Diskussion an. Plötzlich kommt ein weiterer Zollbeamter dazu. An der Anzahl der Sterne auf seinen Schulterklappen sehe ich, dass es sich bei ihm wohl um einen Vorgesetzten „meines“ Officers handelt. “Any problems?“ Mit einem immer hysterischer werdenden Wortschwall erkläre ich ihm, dass ich 900 Dollar nachweisen muss und dass ich hier 900 Dollar in der Hand habe und dass ich diese 900 Dollar schon dreimal vorgezählt habe und dass der Officer offensichtlich nicht zählen kann und dass da draußen mein Flieger steht und schon kurz vor dem Abheben ist und dass es schon extrem schön wäre, wenn ich in dem Flieger drinsitzen würde, wenn der abhebt und dass ich jetzt gerne ihm auch mal die 900 Dollar vorzählen würde, in der Hoffnung, dass wenigstens er bis 900 zählen kann und dass es jetzt wirklich langsam eilt und …………
Er grinst kurz und macht dann mit seiner rechten Hand eine lässige Schlenkerbewegung. “Everything is ok, go. Have a good time.“ Ich bedanke mich kurz und renne durch den Wartebereich auf den Flieger zu, stürme die Rolltreppe hoch und suche, noch völlig außer Atem, Ute und meinen Platz. Dort angekommen, empfängt mich Ute: „Wo bleibst Du denn? Mit Deiner ewigen Trottelei verpasst Du irgendwann noch mal Dein Flugzeug!“